Rede zur fünften und vorerst letzten Mahnwache – 18.04.2011
19. April 2011 § Hinterlasse einen Kommentar
Liebe Leipzigerinnen und Leipziger, liebe Gäste,
herzlich willkommen im Namen des Bündnis gegen Atomkraft Leipzig zur fünften Mahnwache zu den Ereignissen in Japan.
Wir treffen uns hier 38 Tage nach den verherrenden Naturkatastrophen im Norden Japans. Doch statt Neuigkeiten vom Aufbau und frohen Botschaften über den Optimismus und die Routine des japanischen Volkes im Umgang mit den Naturkatastrophen zu hören, wie sie eigentlich zu erwarten wären, ruhen unser aller Augen vor allem auf den vier Reaktorruinen in Fukushima Daichii.
Immer noch müssen die Reaktoren und Abklingbecken mit improvisierten Techniken von außen gekühlt werden. Das bedeutet das Fehlen geschlossener und gesicherter Kühlkreisläufe, das bedeutet, dass immer wieder radioaktiver Dampf abgelassen werden muss, um weitere Knallgasexplosionen zu verhindern. Das heißt, dass heute rund 50 Millionen Liter Wasser in den havarierten Reaktoren mehr oder weniger unkontrolliert herumschwappen – das entspricht zwei 50-Meter Schwimmbecken voll radioaktiver Brühe. Wie und wo genau das Wasser sich in der Anlage verteilt, wo es leckt, wo es fließt, das weiß niemand. Und die radioaktive Bealstung steigt mit jedem Tag. Auch das Meerwasser rund um die Anlagen ist weiträumig verseucht – mit Cäsium-137, Jod-131 und anderen radioaktiven Isotopen.
Derweil wurde klar, dass die Arbeiter nicht nur unmenschlichen Risiken vor Ort ausgesetzt werden, sondern sowohl ihre Unterbringung als auch Bezahlung die Menschenwürde mit Füßen tritt. Tepco zahlt den Nuklear-Samurais, die an der vordersten Strahlenfront ihre Arbeit tun umgerechnet etwa 120 Euro pro Tag. Dabei handelt es sich nicht einmal um Angestellte des Atomkonzerns, sondern die Manager greifen auf Leiharbeiter zurück, die solange arbeiten, bis sie 100 Milisievert Maximalstrahlung abbekommen haben. Weil der Lohn so gering ist, gab es schon Fälle, dass Arbeiter ihre Dosimeter nicht mit auf die Schicht nahmen, um wenigstens ein paar mehr Krumen vom finanziellen Kuchen ab zu bekommen. Wenn man dann die Berichte liegt, die zum 25. Jahrestag von Tschernobyl über die damaligen 800.000 Liquidatoren in den Medien erscheinen, dann fragt man sich schon, ob im Atombereich von so großen Systemunterschieden gesprochen werden kann.
Doch wo wir schon beim Geld sind, mittlerweile hat sich Tepco zu einer Entschädigung für die evakuierten Familien durchgerungen: Umgerechnet 8.300 Euro pro Haushalt sollen die von den Strahlen vertriebenen bekommen. Das sind dreieinhalb japanische Durchschnittsmonatslöhne.
Immerhin hat Tepco jetzt einen Plan vorgelegt, wie man der Sache Herr werden will. Drei Monate lang soll zunächst die austretende Radioaktivität reduziert werden. Reduziert, nicht gestoppt. Danach gibt der Konzern sich ein halbes Jahr, um die Lecks dicht zu kriegen. Sechs Monate. In sechs bis neun Monaten sollen die Evakuierten dann zurück kommen dürfen. Cäsium-137 hat eine Halbwertszeit von 30 Jahren, und hat sich bis dahin neun Monate lang überall verteilen dürfen. Ich würde da nicht zurückwollen, aber 8.300 Euro sind auch klar zu wenig für eine neue Existenz.
Das alles zeigt, Atomkraft ist nicht beherrschbar und gehört eigentlich seit vorgestern weltweit abgeschaltet. In Japan! In Deutschland! Weltweit!
In Deutschland überbieten sich derweil alle mit Ausstiegsgeboten. Am forschesten, wie so oft, Greenpeace, die 2015 anbieten, die anderen hinken zumeist hinterher. Doch auch die Ausstiegsgegner kommen wieder aus der Deckung: „Der schnelle Ausstieg sei zu teuer“, schreien sie, warnen vor der Deindustralisierung Deutschlands. Die Anti-Aussteiger sind bereits so laut, das die Deutsche Umwelthilfe bereits davor warnt, die Kostendebatte nicht als Handbremse gegen die Umsetzung einer umfassenden Energiewende werden zu lassen. Denn die brauchen wir und zwar jetzt!
Dabei ist Atomstrom nur auf dem Papier billig, wie Fukushima deutlich gezeigt hat. Auch deutsche Kraftwerke sind kaum versichert im Falle einer Havarie. Das hat sogar das Handelsblatt vor einigen Wochen verduzt zur Kenntnis und zur Titelgeschichte gemacht. Das heißt, die Schäden trägt der Steuerzahler: Gesundheitlich und Finanziell. Danke Atomlobby, aber nicht mit uns!
Wir sagen Abschalten!
In Japan!
In Deutschland!
Weltweit!
Im Anschluss möchte ich Sie noch alle für den nächsten Dienstag einladen an der Demonstration zum 25. Jahrestag des Tschernobyl-Jahrestags einzuladen. Die Vergangenheit mahnt, das wir eine bessere Zukunft und eine bessere Gegenwart brauchen. Wir wollen die Energiewende jetzt und vor allen Dingen am nächsten Dienstag hier um 18:00 Uhr auf dem Augustutzplatz. Kommt zahlreich, sagt euren Freunden und Bekannten Bescheid. Lasst uns bunt, laut und viele sein und unsere Forderung kann nur eine sein: Abschalten!
Vielen Dank. Das war die vorerst letzte Mahnwache.
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